Unterwegs mit den Umweltwächtern

Es ist Montagmorgen 7:20 Uhr und ich stapfe bei Minustemperaturen durch festgetretenen Schnee. Am Straßenrand türmen sich die vereisten Reste des Flockenfalls der letzten Tage. Alles ist grau und es wird nur langsam hell. Normalerweise würde ich jetzt zu Hause meine zweite heiße Tasse Kaffee trinken. Stattdessen bin ich auf dem Weg zum ALZ (Arbeit und Lernzentrum) an der Hermann-Fortmann-Straße. Ich habe einen Termin mit den Umweltwächtern. Die Männer und Frauen in den leuchtend gelben Jacken sorgen seit 2018 für mehr Sauberkeit im Bremer Norden. Dies tun sie, indem sie mit Sammelzange und mobilem Mülleimer bewaffnet durch die Straßen ziehen und Abfall aufsammeln, den andere achtlos wegwerfen bzw. liegenlassen. Doch damit nicht genug: Sie wollen auch ihre Mitmenschen für den bewussten Umgang mit Müll sensibilisieren. Deshalb kann es durchaus vorkommen, dass man von einem der Mitarbeiter angesprochen wird, wenn man seine Zigarettenkippe auf den Bürgersteig wirft, statt sie im Mülleimer zu entsorgen.

Zwei Umweltwächter in der Rückansicht wie sie eine Straße entlang gehen



Standartausstattung: Mülltonne, Sammelzange und Hartnäckigkeit

Durch die auffällige Arbeitskleidung erkennt man die Umweltwächter auf Ihren Touren durch Vegesack, Blumenthal und Burglesum bereits auf große Entfernung. So leuchtet es mir an diesem Tag auch vom Vorplatz des ALZ entgegen. Noch sind die Mitarbeiter nicht aufgebrochen, denn wie an jedem Morgen steht erst mal eine „Lagebesprechung“ an. Dabei werden Besonderheiten der Touren angesprochen (heute zum Beispiel die Sturmwarnung für den Nachmittag), Gruppen eingeteilt und weitere Dinge geklärt. Die Stimmung ist gut, obwohl es gleich raus in den Dauerfrost geht.

Ein Umweltwächter sammelt mit einer Zange Müll auf dem Bahnhofsplatz Vegesack auf

Im Anschluss ans Morgenmeeting wird gestartet. Wer nach Lesum oder Blumenthal muss, wird entweder gefahren oder kommt mit dem Bus dorthin. Am Ziel wartet das notwendige Equipment auf die Umweltwächter. Ich ziehe mit Thomas Baumgarten und Honorata Bechmann los. Gemeinsam kümmern sich die beiden um verschiedene Straßenabschnitte in Vegesack, sodass wir gleich zu Fuß losgehen können. Neben der Kälte erschwert die Corona-Pandemie den beiden Umweltwächtern ihre Arbeit. Immer wieder müssen sie Masken aus der steinhart gefrorenen Eisschicht am Straßenrand picken. Teilweise wird mit kraftvollen Fußtritten nachgeholfen. „Zu Beginn der Pandemie, als Masken noch schwer zu bekommen waren, hat es das nicht gegeben“, erklärt Thomas Baumgarten, während er eine OP-Maske vom Boden aufpickt. Bis zu 15 Stück findet er davon täglich in den Straßen Bremen-Nords. „Seitdem sie leicht zu haben sind, fliegen sie überall herum“.

Kälte und Corona erschweren die Arbeit

Trotz Schnee entdecken wir alle paar Meter Müll am Straßenrand. Im Sekundentakt greifen meine Begleiter nach Papier, Verpackungen und anderem Unrat. Dazwischen sind auch größere Fundstücke wie Bekleidung, Pfandflaschen oder ein kaputter Regenschirm. Auf dem Grünstreifen vor einem Getränkemarkt steht ein Einkaufswagen, vollgestopft mit Plastiktüten und anderem Abfall.

Neben dem Eis, das den Abfall festhält, werden die beiden Umweltwächter auch durch ihre witterungsbedingt sehr dicke Kleidung ausgebremst. Mehrere Schichten tragen sie unter ihrer Arbeitskleidung, die aus einer Wärmeweste, Arbeitsschuhen mit Wärmesohlen, der obligatorischen gelben Jacke und mehr besteht. Dazu kommen noch Schal, Maske und Mütze. Dies hält warm, schränkt aber die Bewegungsfreiheit ein. Rund sechs Stunden täglich sind die Umweltwächter unterwegs. Dabei haben sie im Winter kaum eine Möglichkeit, sich aufzuwärmen, denn aufgrund der Corona bedingten Einschränkungen sind fast alle ihrer früheren Anlaufstellen geschlossen. Statt einer Tasse Kaffee im Café oder einer Pause in den warmen Sozialräumen einer Schule müssen sie nun darauf warten, dass Projektleiter Norbert Röhe mit dem Auto vorbeikommt. Dort können die Wächter kurz auftauen, bevor es wieder raus in die Kälte geht. „Wir haben uns diese Lösung kurzfristig einfallen lassen, damit die Männer und Frauen überhaupt zwischendurch mal warm werden“, erklärt Röhe. Zwar gäbe es die Möglichkeit, die Pausen in den Ortsämtern zu verbringen, doch sei der Weg dorthin, je nachdem, wo sich die Mitarbeiter befinden, zu weit. Die Teams, die beispielsweise in Farge unterwegs sind, wandern raus bis zum Bereich rund um den Uboot-Bunker. Von dort ist es bis zum nächsten Ortsamt fast eine Weltreise.

Ein Einkaufswagen voller Abfall
Ein überfüllter Mülleimer. Dahinter Kartons und Pappe die sich zu einer wilden Müllhalde türmen

Der Kampf der Umweltwächter gegen wilde Müllkippen

Es ist nicht einfach, den Materialwagen durch die winterlichen Straßen zu navigieren. Dafür braucht es Krafteinsatz und ein sicheres Gleichgewicht. „In der ersten Woche, wo kein Weg frei war, sind wir nur mit Tüten losgegangen, aber damit kann man nicht so viel wegräumen“, erinnert sich Thomas Baumgart. Dabei gibt es genug wegzuschaffen, daran ändert der Frost nichts. Ob an der Hermann-Fortmann-Straße, an der Straße zur Vegesacker Fähre oder in der alten Hafenstraße: Überall entdecke ich wilde Müllkippen. „Müll ist magnetisch“, erklärt Norbert Röhe, während er ein Foto von dem Berg an der Vegesacker Fähre macht. Er wird es an die Bremer Stadtreinigung weiterleiten, die sich um die Beseitigung der Halde kümmert. Zeitgleich sammeln Baumgarten und Bechmann Coffee-to-go-Becher ein, die um einen überfüllten Mülleimer herum liegen. Honorata Bechmann schüttelt den Kopf. „Am schlimmsten finde ich, dass Kinder sich das abschauen und denken, das wäre normal“, so die 39-Jährige.

Ich verabschiede mich von meinen Begleitern. Während sie noch ein paar Stunden durch die Kälte streifen werden, kann ich mich gleich wieder ins Warme begeben. Während sich die beiden Umweltwächter Richtung Stadtgarten entfernen blicken Norbert Röhe und ich noch einmal auf den Berg aus Müll neben dem Boardinghaus. Röhe seufzt kurz und ergänzt:„Wer macht diesen ganzen Unrat weg, wenn nicht wir?“

Ins Leben gerufen wurde das Projekt im Frühjahr 2018. Seither sind insgesamt 15 Frauen und Männer in den einzelnen Nordbremer Stadtteilen unterwegs. Als Projektinitiator und -koordinator fungiert das Arbeit und Lernzentrum e.V. Dort befindet sich auch die Zentrale der Umweltwächter.

Angestellt sind die Mitarbeiter bei Performa Nord und werden über das Beschäftigungsprogramm Teilhabe am Arbeitsmarkt nach § 16i SGB II gefördert.